Alles bleibt anders

Ich bin immer noch ich, nur ist da jetzt ein kleiner Mensch, dessen Überleben von mir abhängt, der Tag und Nacht an meiner Seite ist und für den ich wirklich alles tun würde. Für den ich alles tue. Dessen Gefühle mit meinen verschmelzen, den ich bedingungslos liebe.

„Hör nicht auf die Ratschläge anderer, sondern auf Dein Bauchgefühl. Du hast dein Kind fast neun Monate lang unter deinem Herzen getragen.“. Diese Worte einer Kollegin zur Geburt unseres Sohnes berührten mich besonders.

An Ratschlägen und Ideen wird nicht gespart, seit unser Kind zur Welt kam. Natürlich immer gut gemeint, aber oft einfach nur nervig. Viele Ideen und Empfehlungen klingen für mich total wieder meiner Natur. Bei älteren Menschen habe ich manchmal das Gefühl, dass sie sich angegriffen, oder verletzt fühlen, wenn sie sehen, dass ich einen anderen Umgang mit meinem Kind pflege, als sie selbst ihn kennen.

Unsere Kinderärztin teilte uns bei der U4 Untersuchung mit, dass unser Sohn an der Grenze zum Übergewicht läge. Mit knapp 3 Monaten. Er kam fast 6 Wochen zu früh auf die Welt, wog 1800 Gramm. Dank des problemlosen Stillens und seinem großen Appetit wächst er „seinem Alter entsprechend“ und nun erzählt mir eine Ärztin, dass wir laut Schulmedizin sein Gewicht im Blick behalten sollten. Das macht mich wütend. Ihr Rat darauf war, dass ich ihn höchstens alle zwei Stunden Stillen soll. Solche Aussagen machen mich sprachlos, da die Entwicklung eines Kindes individuell ist und nicht Anhand von Parametern berechnet werden kann. Ein Still-Kind kann nicht übergewichtig werden, da die Milchmenge sich selbst reguliert und an die Bedürfnisse des Kindes anpasst.

Schade, sollten wir Menschen wie einer Ärztin nicht vertrauen können und uns gut aufgehoben fühlen? Ich würde mir wünschen, dass sie uns als Eltern, die Art und Weise, wie wir uns das Leben mit Kind vorstellen, wahrnimmt und in ihre individuelle Beratung einfließen lässt und nicht das veraltete, im Studium erlernte Wissen herunterrattert.

Unser Sohn schläft neben mir im Bett. In keinem Beistellbett oder anderem Raum, sonder ganz dicht an meiner Seite. So, dass er meine Wärme spüren und mich riechen kann. So, wie die Menschen es seit Jahrtausenden tun, um ihr Kind zu schützen. Und nein, ich mache mir keine Sorgen, dass er sich „daran gewöhnt” oder „nie im eigenen Bett schlafen wird“. Meine Intuition, mein Gefühl sagt mir, dass er an meine Seite gehört, damit ich ihn Nachts problemlos, fast schon im Schlaf stillen kann. Damit ich höre und spüre, wenn er mich braucht. Damit ich ihm Sicherheit und Geborgenheit schenken kann, die ihn hoffentlich sein ganzes Leben lang begleiten wird. Und nein, ich habe keine Angst dass er unter meiner Decke erstickt oder ich ihn im Schlaf überrollen könnten, denn ich bin ja nicht tot. Seit dem ich Mutter bin, ist mein Schlaf ein anderer. Ich bin, auch Nachts, aufmerksam und in einem hab acht Zustand und trotz dessen tagsüber nicht übermüdet. Mein Körper passt sich der Situation an.

Bevor ich Mutter wurde habe ich so viel recherchiert und versucht mich zu informieren. Letzten Endes sind die meisten Antworten aber tief in mir drin, mein Urinstinkt weiß was das beste für uns ist. Klar bin ich auch mal verzweifelt, oder weiß nicht weiter, aber das gehört eben zum Elternsein dazu. Ein Säugling hat noch keine Stimme mit der er formulieren kann was ihm fehlt. Wenn alle Grundbedürfnisse gestillt sind, kann man nur noch Nähe schenken, Ruhe bewahren und abwarten.

Ich bin davon überzeugt, dass ein Säugling, besonders im ersten Lebensjahr, ganz nah an die Seite der Mutter, des Vaters oder der Person gehört, die ihn groß zieht. Dass er herumgetragen werden sollte, so viel es geht, damit er Nähe und Geborgenheit erfährt und Urvertrauen entwickelt.

Seit ich selbst stille fällt mir auf, dass ich so gut wie keine stillenden Frauen in der Öffentlichkeit sehe. Es passiert wohl im verborgenen, wo keine Mutter Angst haben muss angestarrt oder bewertet zu werden. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stellte in einer Studie fest, dass Deutschland nicht besonders Stillfreundlich ist.  „ Nur 68 Prozent der Mütter stillen ihr Kind nach der Geburt ausschließlich – in den folgenden Monaten sinkt die Zahl deutlich. Nach zwei Monaten sind es noch etwas mehr als die Hälfte (57 Prozent) und nach 4 Monaten (der empfohlenen Mindeststilldauer für ausschließliches Stillen) sind es nur noch 40 Prozent.“ (KiGGS, Welle 2)

Es mangelt an Information und Sichtbarkeit. Kein Wunder also, dass so viele Frauen, mich selbst inbegriffen, vor allem zu Beginn, mit Stillproblemen, wie schmerzhaftem Milchstau oder entzündeten Brustwarzen hadern. Sie haben ja keine Vorbilder, an denen sie sich hätten orientieren können. Ich muss fast schon über mich selbst lachen, wenn ich daran zurück denke, dass ich nicht wusste wie diese, so natürliche Sache, funktioniert. Wie schade, dass in unserer Gesellschaft eine Brust, die Quelle zum Leben, meist nur als etwas sexuelles betrachtet wird. Wie schade, dass man sich als Mutter fast schon dafür schämt, seinem Kind, wann immer es schreit, die Brust zu geben.

Es sind unsere Großeltern und sogar Eltern, die teilweise als Babys stundenlang schreiend im eigenen Bettchen alleingelassen und traumatisiert für ihr ganzes Leben wurden (Bsp.: Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind – Johanna Haarer). Diese Traumata werden transgenerational an uns weitergegeben. Auch heute noch wird jungen Müttern der Rat gegeben, ihr Kind doch auch mal schreien zu lassen und nicht jedes Mal hochzunehmen, das es sonst verwöhnt werden würde. Ich finde es wirklich schlimm, dass es dieses Denken immer noch gibt, sehe aber auch eine positive Entwicklung. Es gibt auch eine Tendenz zur liebevollen, bedürfnisorientierten Erziehung, denn einem Baby kann man nicht zu viel Liebe schenken.

Ich liebe es, die weiche Haut meines Sohnes an meiner zu spüren, seinen einzigartigen Geruch einzuatmen, gemeinsam als Familie in einem Bett zu schlafen.

Ich bin dankbar, einige empowernde und inspirierende Frauen in meiner Familie und Bekanntschaft zu haben und einen Mann an meiner Seite, der mich in all dem unterstützt. Wir vertrauen beide auf unser Bauchgefühl und irgendwie auch einfach auf unser Kind, auf die Natur, die seit Jahrtausenden das selbe Spiel spielt.