
Woche drei und vier in Skandinavien
Wir haben unser nördlichstes Ziel auf dieser Reise erreicht. Die Lofoteninseln – eine arktische Fjordlandschaft in Norwegen. Einer der wenigen Orte an dem die Möglichkeit besteht Buckelwale, oder sogar Orcas zu sichten. Jonathans großer Traum.
Hier oben wird es langsam Herbst. Die ersten Blätter wechseln ihre Farben und fallen zu Boden. Die im Moos versteckten senfgelben Pfifferlinge nach denen wir immer Ausschau halten, lassen sich nun auf den ersten Blick kaum von den kleinen herabgefallenen Blättern der Birken unterscheiden.



Zeit hat für uns hier draußen eine andere Bedeutung bekommen. Es ist nicht mehr wichtig welcher Wochentag, oder welche Uhrzeit es ist. In dieses ungewohnte Gefühl der Freiheit müssen wir erstmal hineinwachsen.
Von klein auf bestimmt Zeit unser Leben. Sie gibt uns Sinn und Struktur, etwas das jeder Mensch braucht. Je älter ich wurde, desto mehr bekam ich jedoch das Gefühl zu wenig von ihr zu haben. Vor allem zu wenig von der Zeit die ich frei gestalten kann. Oft kam es mir so vor als müsste jede Stunde, jede Minute, sinnvoll und produktiv genutzt werden.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, dass der sich aufbauende Stress des Alltags sich bereits im Kindesalter beginnt anzustauen. Von klein auf werden Erwartungen an Kinder gestellt damit sie sich später reibungslos in die gesellschaftliche Norm fügen. Hierzu gibt es viel zu sagen, dieses Thema möchte ich hier jedoch nicht weiter vertiefen.
Irgendwann standen für mich Arbeit und Freizeit nicht mehr in Relation zueinander. Ständig war ich in dieser mit Reizen überfluteten Welt viel zu sehr mit dem Außen, statt dem Innen beschäftigt. Ich glaube, dass es unserer Gesellschaft immer schwerer fällt unseren Körper zu hören und seine Signale wahrzunehmen. Unseren Kopf von all unseren Gedanken zu befreien und loszulassen. Die Folgen dieser, meiner Meinung nach enormen Belastung, äußern sich nicht nur psychisch sondern auch physisch. Kaum verwunderlich also, dass Zeit zu einem kostbaren Gut wird.
Auch wenn wir seit Beginn unserer Reise kaum mit andere Menschen gesprochen haben, fällt es uns dennoch schwer eine tiefe innere Ruhe zu spüren. Wir sind jeden Tag unterwegs und am entdecken.
Vor ein paar Tagen hörten wir gemeinsam den Weltwach Podcast mir Erik Lorenz. Ein sehr inspirierender Podcast, den ich allen Reisebegeisterten, die nach anderen Formen des Reisens suchen nur ans Herz legen kann. In einer Folge wurde eine Geschichte erzählt, die mich sehr berührte.
Es ging um eine Expedition auf den Mount Everest die von Sherpas begleitet wurde. Das Volk der Sherpas ist seit Jahrhunderten im Himalaya ansässig. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden sie oft als Träger, Bergführer, Kundschafter oder Köche bei Hochgebirgsexpeditionen eingesetzt. Seit dem wird der Begriff Sherpa in der westlichen Welt oft nur damit assoziiert, teils ohne Kenntnis der ursprünglichen Bedeutung.
Die Gefährten kamen nach einem langen, mühsamen Aufstieg für eine Weile zur Rast. Einige Zeit später wollten die Westeuropäer weiter aufsteigen, die Sherpas jedoch weigerten sich und erwiderten, dass ihre Seelen noch Zeit bräuchten um nachzukommen.
Genau so fühlt es sich für mich an.
Wenn ich darüber nachdenke kommen mir immer wieder die Urvölker unsere Erde in den Sinn. Ob Lakota, Aborigines oder Inuit, die Menschen dieser alten Kulturen sind tief mit der Natur, den Tieren und Pflanzen die sie umgeben verbunden. Sie haben ein tiefes Verständnis für ihre Umwelt und sich selbst. Für mich ist die Weisheit dieser Kulturen, deren Religion und Tradition unglaublich inspirierend.
Nach vier Wochen fühlen wir uns manchmal noch immer getrieben. Wir möchten nun einen Ort zum längeren Verweilen suchen.

